Sabine Sommerhuber und ich sind seit 14 Tagen wieder im Einsatz auf Lesbos. Diesmal hat mich nicht nur Sabine, sondern auch zwei österreichische Kinderpsychiaterinnen - Dr. Michaela Fried und Dr.Ulla Wurm - hierher begleitet, die alle drei mit dem Team der Medical Volunteers hier Nothilfe leisten.
Der griechische Winter hat die Insel voll erreicht, auf den Bergen liegt Schnee, auf Meereshöhe regnet es immer wieder, manchmal gibt’s auch Schneeregen, es ist bitterkalt, die Menschen bitten uns verzweifelt um Decken, warme Sachen, Thermophore für sich und ihre Kinder. Es gibt keine Möglichkeit die Zelte zu beheizen, weil es Griechenland und Europa nicht geschafft haben, ein paar Stromgeneratoren aufzustellen. Das lokale Stromnetz ist zu schwach, an manchen Tagen gibt es dann gar keinen Strom, dh. nicht einmal heißes Wasser für Babynahrung oder Tee. Wir verteilen, was wir können und haben, aber die Zustände sind einfach unhaltbar.
Trotz Lockdowns gelingt es uns hier doch auch immer wieder etwas einzukaufen - unter anderem mehr als 100 Paar Gummistiefel, Hygieneartikeln, Windeln. Das Lager ist nach wie vor bei jedem Regen nahezu komplett überflutet. Sabine, Michi und Ulla arbeiten währenddessen mit Familien. Was während Lockdown und auf Grund der äußerst sprunghaften und willkürlichen Entscheidungen der griechischen Behörden auch nicht ganz einfach ist. Mal dürfen die Menschen kurz aus dem Lager, mal wieder nicht. Sie erzählen uns von verzweifelten Eltern, die einfach nicht mehr können. Von schwer traumatisierten kleinen Kindern, die sich entweder komplett in sich selbst zurückziehen oder auch aggressiv gegen Geschwister werden. Eltern binden ihre Kleinkinder nachts an sich, weil viele Kinder von den Brandnächten in Moria träumen und dann in der Nacht flüchten wollen. Auch für die beiden Ärztinnen ist die Situation schwer erträglich. Da jede Therapie ja letztlich an der für die Eltern und Kinder unlösbaren Situation scheitert.
Es gibt nur eine humane Lösung und das ist die sofortige Evakuierung des Lagers und Unterbringung der Menschen in menschenwürdigen Unterkünften.
Was wir tatsächlich hier bewirken können, sind in Wahrheit immer nur Kleinigkeiten. Was ich anfangs aber auch unterschätzt habe, ist, wie wichtig es für die Menschen hier ist, dass Helfer aus Europa da sind und ihnen sagen und zeigen, dass sie nicht ganz vergessen sind. Und dass es Menschen gibt, die sich zumindest bemühen, eine warme Jacke oder ein paar Schulblöcke für die Kinder zu besorgen. Und zuhören und verstehen.
Daher auch wieder meine Bitte - teilt die Botschaft wo immer es geht! Es gibt für unsere Regierung und für die anderen europäischen Regierungen keine Entschuldigung hier tatenlos zuzusehen! Solche Lager und solches Elend darf es einfach in Europa nicht geben!
Immer wieder kommen auch neue Boote aus der Türkei. Vor zwei Tagen konnten zwei junge Menschen nur noch tot geborgen werden. Heute Nacht erreichte ein weiteres Boot mit Geflüchteten Lesbos, darunter auch kleine Kinder.
Berichte direkt aus dem Lager werden zunehmend schwieriger, die griechischen Behörden achten streng darauf, dass so wenig Bilder und Erfahrungsberichte aus Kara Tepe wie möglich in die Öffentlichkeit gelangen. Aber wir werden natürlich auch weiterhin nicht schweigen und auch nicht aufgeben so lange es solche Elendslager auf europäischem Boden gibt!