Auf die anhaltende Kritik an den unhaltbaren Zuständen in den Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln hat die griechische Regierung folgendermaßen reagiert: Sie vergibt schneller Asylberechtigungen oder lehnt diese ab.
Und reduzierte so zum Beispiel im Lager Kara Tepe 2 auf Lesbos, die Anzahl der untergebrachten Flüchtlinge von ca. 8000 Menschen bis vor dem Sommer, auf ca. 3000 derzeit. Einige Container wurden aufgestellt, die Zelte nur mehr mit einer Familie belegt, an den hygienischen Bedingungen hat sich aber leider nichts verändert. Zuwenig Duschen und Toiletten und diese in kaum zu beschreibendem schlechten Zustand.
Weiterhin darf das Lager nur streng reglementiert verlassen werden.
Für die anderen 5000 Menschen ist das Elend nun ein noch größeres geworden. Sie sind aus allen rudimentären staatlichen Unterstützungsprogrammen „gefallen, leben alleine oder mit ihren Kindern auf der Straße. Wer Asyl erhalten hat, wartet auf unbestimmte Zeit auf seinen Pass, Versicherungspapiere und weitere notwendige Dokumente um eine Arbeit aufzunehmen, damit Miete bezahlen und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen zu können.
In der Hoffnung diesen Prozess zu beschleunigen, versuchen viele nach Athen zu gelangen und hier anwaltlichen Beistand einer NGO zu erhalten. Sie sind gezwungen auf der Straße zu leben, in Parks, oder in Elendsquartieren, zusammengepfercht, mehrere Familien auf 40 qm. Ich habe einige gesehen. Athen ist eine Stadt mit 4 Mio EinwohnerInnen, daher fallen die Menschen und ihr Elend nicht so schnell „ins Auge“ wie auf den Inseln.
Da weiterhin Menschen über die Türkei nach Griechenland flüchten müssen, weil die Entwicklungen in den Krisenstaaten kaum eine andere Möglichkeit zulassen und dann noch schneller von der griechischen Regierung nach Athen „durchgereicht“ werden, wird es hier in Kürze zu dem gerne beschriebenen Ketchupeffekt kommen.
Denn hier ist lt. Dublin-Verfahren Endstation für asylberechtigte Flüchtlinge. Keine Großstadt kann, auch wenn sie noch so groß ist, alleine Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gewährleisten. Da Griechenland zusätzlich mit den Auswirkungen von Wirtschaftskrisen und Sozialabbau zu kämpfen hat, ist die Bewältigung dieser Aufgabe umso schwieriger.
Somit ist die sogenannte Balkanroute wiederum die einzige Möglichkeit für Viele weiterzuziehen und irgendwo anders ums Überleben zu kämpfen. Die vermehrten Ankünfte hier an der österreichischen Grenze geben uns jetzt schon ein realistisches Bild dazu.
Nach wie vor laufen Programme zur Aufnahme von Flüchtlingen in einige EUStaaten sehr zögerlich an und fallen zahlenmäßig kaum ins Gewicht.
Während meines Aufenthaltes wurde in Medien kolportiert, dass die Strategie des „sogenannten australischen Modells“ auch hier auf griechischen Inseln zügig umgesetzt werden soll. Es werden hermetisch abgeriegelte Lager, weitab jeder Ansiedlung auf griechischen Inseln errichtet, in denen ankommende Flüchtlinge angehalten werden, diese nicht verlassen dürfen und die Chance Asyl zu erhalten minimal ist. Die in den jetzigen Lagern verbliebenen AsylwerberInnen werden dorthin umgesiedelt. Der Zugang von NGO`s wird eingeschränkt bis untersagt. Für die Errichtung hat die EU ca. 240 Mio Euro zur Verfügung gestellt. Auf Lesbos wird schon daran gebaut. In griechischen Medien wird darüber berichtet. „Greece is turning the Aegean islands into a concentration camp for refugees“ (Liana Spyropoulou 2019). Tatsächlich werden nunmehr geschlossene, von Mauern umgebende regelrechte Gefängnisse errichtet.
Ich denke wie viele Menschen vor Ort, dass diese Vorgangsweise schon lange geplant ist und unter dem „Deckmantel: die Lager werden sukzessive mit weniger Personen belegt, es gibt nichts mehr zu berichten“ nun wenig öffentlichkeitswirksam und protestbegleitet umgesetzt wird.
Gerade jetzt zeigt sich aber auch, dass unsere Zivilgesellschaft handlungsfähig bleibt. Die Projekte für und mit Flüchtlingen um eine rudimentäre menschliche Existenz in dieser schwierigen Lebenssituation aufrechtzuerhalten, funktionieren gut. Auch mit Euren großzügigen und stetigen Spenden und des freiwillig geleisteten Einsatzes vieler ÖsterreicherInnen vor Ort.
Die Projekte der bisherigen insgesamt 4 Einsätze von Helga Longin und mir und den Einsatz der Spendenmittel habe ich schon in den vorigen Berichten beschrieben. (Damit wurde hauptsächlich der Ankauf von Lebensmitteln sowie der Unterhalt der Küche von „Home for All“ und ihrer Felder, sowie Miete für die Lagerhäuser um die Spenden aus Österreich zu sortieren, die wir im Winter, zusammen mit dem Essen im Lager Kara Tepe 2 an 8000 Menschen verteilten, finanziert). Gemeinsam mit Doro Blancke und MitarbeiterInnen vom „Wandel“.
Wir waren auch in einigen Medien mit unserer Arbeit präsent und haben mehrere Vorträge über die Lage von Flüchtlingen auf Lesbos gehalten.
Zwei Ärzte haben im Frühjahr auf Grund meiner Berichte 2 Mal im Lager hervorragenden freiwilligen Einsatz geleistet. Die Arbeit in der Mental Health Clinic von MVI wird von uns mit 2 ÜbersetzerInnen aus dem Flüchtlingskreis (pro Monat je Euro 400,--) unterstützt, insgesamt, mich mitgezählt, haben vier Kinderpsychiaterinnen und Psychotherapeutinnen das Kindergesundheitsprojekt begleitet und eine Elterncoachinggruppe für traumatisierteKinder aufgebaut, ebenfalls freiwillig.
Im Frühjahr eröffnete „Wave of Hope“ WOH www.waveofhope.org eine Schule mit und für Flüchtlinge. Wir haben für die Errichtung der kleinen Schulbaracken Euro 3.500,-- beigetragen.Eine Galerie im Ort Mytilini (der Hauptstadt von Lesbos) von und für Flüchtlinge wurde eröffnet und von uns finanziell unterstützt, Euro 4.500 kamen als Gründungsbeitrag von uns. Wir werden auch da einerseits langfristig auf kalkulierbare Spenden „umsteigen“, aber jetzt auch den Einbau eines Heiz – und Kühlsystems in der Höhe von Euro 3.000,-- spenden. (im Winter hat es manchmal unter 0 Grad im Sommer heuer 47 Grad! Jeweils wochenlang!).
Zusammen mit der Diakonie wurde eine Rechtsberatung www.asyl.at installiert. In Griechenland gibt es kaum Rechtsberatung für Flüchtlinge. Wir haben uns mit einem einmaligen Betrag von Euro 5.000,-- daran beteiligt.
Da wir es uns auch als unsere Aufgabe ansehen bei großer Not finanzielle Soforthilfe zu leisten was auch vielen SpenderInnen ein großes Anliegen ist, haben wir diesmal insgesamt Euro 5.400,-- an Mietzuschuss, Lebens- und Hygienemittel an Familien verteilt. Bevorzugt an ehemalige ÜbersetzerInnen und HelferInnen der Projekte, die im Flüchtlingslager lebten und nun in Athen „auf der Straße leben müssten. Die lange Dauer bis zum Erhalt der endgültigen Asylpapiere ohne jegliche staatliche Unterstützung, erzeugt existentielle Not. Wir haben uns an einem Engagement eines Arztes von MVI für einen jungen Mann aus Afghanistan, der dringend eine Beinprothese benötigte in der Höhe von Euro 2.000,-- beteiligt.
Wie es weitergehen kann ?
Mit allen NGO´s, mit denen wir zusammenarbeiten, haben wir einen Vertrag abgeschlossen, der bis Mai nächsten Jahres begrenzt ist. Dann evaluieren wir die Projekte und werden sie bei Erfolg und ausreichendem Spendenaufkommen verlängern oder adaptieren. Wir suchen weiterhin freiwillige HelferInnen für Einsätze auf Lesbos und Athen. Da ich immer wieder auch Anfragen von jungen Menschen erhalte, haben wir beschlossen, pro Einsatz einen Kostenzuschuss für die Anreise in der Höhe von bis zu Euro 350,-- und pro Aufenthaltstag Euro 25,-- im Winter und Euro 35,-- in der Tourismussaison dazuzuzahlen. In Athen wird von MVI ein Haus angemietet um einen zentralen Anlaufpunkt für Flüchtlinge (medizinische, psychische, rechtliche Unterstützung sowie Basissozialarbeit/Wohnungssuche/Arbeitssuche) zu gewährleisten. Zurzeit wird niederschwelligste Betreuung auf den Straßen und in Communitycentern zu bestimmten Zeiten angeboten. Das funktioniert sehr gut, vor allem die Zusammenarbeit mit allen NGO´s läuft hervorragend und sehr professionell. Das bleibt auch weiterhin so, ein Basishaus würde aber für Flüchtlinge (und auch ihre HelferInnen) zusätzliche, bessere und auch dringend benötigte Strukturen in dieser prekären Lebenssituation bieten.
Wir würden gerne in diesem Haus eine Mental Health Clinic einrichten für traumatisierte Kinder und ihre Eltern. Dafür müssen wir geeignete ÜbersetzerInnen aus dem Flüchtlingskreis (so wie wir es in Lesbos unterstützen) finden, sowie freiwillige PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen aus Österreich und wir brauchen auch eine griechische Psychotherapeutin, die durch ihre ständige Präsenz vor Ort die Kontinuität garantiert. Wie hoch das Gehalt dafür anzusetzen ist, richtet sich nach dem griechischem Gehaltsschema (und vielleicht ein bisschen darüber hinaus) Auch in Athen und Umgebung existieren völlig unwürdige Behelfsunterkünfte für Asylsuchende. Ich habe eines besucht, auch dort gäbe es Handlungsbedarf.
Ich werde im Winter wieder länger vor Ort sein. Bis dahin vielen Dank für Eure mentale Unterstützung (ich sage den Menschen vor Ort immer, dass ich viele Menschen aus Österreich vertrete, denen die schlimme Lage von flüchtenden Menschen ebenso ein Anliegen ist).
Und dass ich ohne Eure finanzielle Spendenbereitschaft kaum etwas ausrichten könnte.
Lieben Gruß
Sabine Sommerhuber