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18 Mai 2021 - 15:33

Kara Tepe 2

Ein Bericht von Sabine Sommerhuber
Ärzte im Lager Kara Tepe 2

Anfang April wollten Helga Longin und ich wieder zusammen nach Lesbos reisen um unsere Projekte für flüchtende Menschen in den Lagern und auf der Insel fortzusetzen.

Einen Tag vor Abflug verstarb Helga an einem sogenannten Sekundentod. 

Der Schock sitzt tief.

 

Sie leistete Katastrophenhilfe nach dem Brand von Moria, zusammen mit Doro Blancke, beide initiierten mehrere Projekte auf Lesbos, verbrachten Monate vor Ort.

Ich habe mich im Herbst, sozusagen als Bodenstation von „Unser Bruck Hilft“ Helga angeschlossen und bin im Winter zum ersten Mal auf Lesbos gelandet. Auch um mit den Spendengütern aus der österreichischen Zivilgesellschaft die Menschen in ihren völlig unzulänglichen Zeltlagern „über den Winter zu bringen“. 

2 Psychiaterinnen begleiteten uns und leisteten bei der Hilfsorganisation „Medical Volunteers International“ im Mental Health Center, außerhalb des Lagers Kara Tepe 2, Coaching/Therapie für Eltern traumatisierter Kinder. Ich habe diese nach ihrer Abreise noch einige Zeit weitergeführt.

Ich konnte am nächsten Tag nicht fliegen.

Ich war in Kontakt mit den HelferInnen vor Ort und den vielen Flüchtenden, denen Helga ihre Nähe und ihr Mitgefühl und mit konkreter Hilfe Hoffnung gegeben hat. 

Auch dort war die Trauer groß.

Nach Helgas Begräbnis haben wir im Vorstand von „UBH“ beschlossen, aktiv die Projekte weiter voranzubringen.

Ich bin dann doch gereist, alleine, aber im Wissen, daß ich erwartet werde und die Unterstützung der NGO`s vor Ort weiter gegeben und unsere sehr erwünscht ist.

Bericht aus Lesbos von meinem Aufenthalt Ende April 2021:

Leider habe ich von der Gesamtsituation nichts Gutes zu berichten, eher das Gegenteil, „schlimmer geht immer“!

Das halbwegs akzeptable, kleine Lager Kara Tepe 1 wurde in einer „Nacht und Nebelaktion“ geschlossen, die Menschen aus den Baracken (diese stehen auf Gemeindegrund der Hauptstadt Mytilini) teils um Mitternacht in das horrible, Zeltlager von Kara Tepe 2 überstellt. Dieses steht auf Militärgrund direkt am Meer, wird auch vom Militär umzäunt und bewacht.

Ohne vorherige Mitteilung, willkürlich. 

Die medizinische Versorgung im Lager ist von griechischer Seite aus verheerend und wird eigentlich nur von den „Medical Volunteers“ angeboten. 

Ein erfahrener Arzt, der sich auf Grund meiner Berichte entschloss, einen Einsatz auf Lesbos zu leisten, beschreibt die medizinischen Verhältnisse im Lager als unter Niveau einer sogenanntem "3. Welt Medizin“. Und er hatte mehrere Einsätze in Afrika absolviert. 

Die systematische Traumatisierung von Kindern nimmt weiter dramatisch zu. Eine Psychologin und Psychotherapeutin aus Österreich, die sich dem Elterncoachingprojekt anschloss, weist darauf hin, daß jegliche fehlende Möglichkeit einer kinderadäquaten Umgebung im Lager, pro Monat zu kaum mehr zu heilenden Schäden der psychischen und mentalen Entwicklung führt.

Auf all` diese schweren Menschenrechtsverletzungen innerhalb der EU wird täglich in diversen Medien berichtet. Es ändert nichts!

Vielleicht, weil es sich wie eine „Vollzugsmeldung“ für all´ diejenigen liest, die mit der Politik der Abschreckung einverstanden sind und angeblich noch immer eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung darstellen?

Die Schaffung von Verhältnissen wie in Afghanistan (keine medizinische Versorgung, keine Schulen, Militärpräsenz, Ausgangssperren, Kälte, Nässe, wenig Essen, Angst vor der Zukunft, völlig verängstigte Kinder, von Menschen anderer Religion und Kultur nicht angenommen sondern ausgestoßen zu werden...) scheint gelungen.

Neu ist mir, daß in Österreich keine Minderheitenrechte mehr gelten. Unzählige Gemeinden, Menschen, Pfarren würden gerne Flüchtende aufnehmen, ihnen bei der Integration helfen, wie sie es schon oft und erfolgreich getan haben. 

In einem geordneten Prozess, zusammen mit der UNHCR vor Ort, vielleicht nach kanadischem Modell?

Was ich Euch allerdings auch berichten möchte ist, was mit euren großzügigen Spenden für die Menschen in und um das Lager Kara Tepe 2 unternommen wird:

  • Wir arbeiten weiterhin mit der NGO „Home for All“ zusammen, die täglich frisch kocht und das Essen ins Lager liefert, zusammen mit Kleidung und Bettwäsche aus dem angemieteten Spendenlager auf Lesbos. Wir bezahlen Lebensmittel und Energiekosten für die Küche.
  • Diese NGO betreibt auch eine Farm, für die wir Pflanzen kauften. 
  • Ein Grund mit 2 Häusern wurde angekauft und wird renoviert, Flüchtlingsfamilien werden hier wohnen und arbeiten und in der Küche und auf der Farm mitarbeiten. Lohnkosten werden ein Jahr lang unterstützt. 
  • Ein Olivenölprojekt ist im Entstehen, die Räumlichkeiten dazu sind fast fertig adaptiert. Auch in diesem Projekt werden Flüchtlinge angestellt.
  • Ein Kinderspielplatz im Lager ist in Planung
  • Mit der NGO „Medical Volunteers International“, die die medizinische Betreuung im Lager übernommen hat, haben wir vereinbart Medikamente und Heilmittelbedarf, sowie den Aufbau eines Labors und den Ankauf eines tragbaren Ultraschallgerätes zu finanzieren. Der Beitrag wird monatlich überwiesen, nach einem Jahr wird evaluiert. 
  • MVI ist auch Träger des Mental Health Projektes, ein/e ÜbersetzIn für das Elterncoaching wird für ein Jahr von uns bezahlt.
  • wir sind weiterhin auf der aktiven Suche nach Ärztinnen, PsychiaterInnen, TraumaexpertInnen, die für eine Zeit lang die Arbeit freiwillig unterstützen, Flug - und Aufenthaltskosten werden bis zu einer bestimmten Höhe finanziert
  • ein Schulprojekt mit der NGO „Waves of Hope“, die dieses Projekt schon in Moria mit Flüchtenden betrieb, wird wieder aufgebaut und der Schulbau von uns mitfinanziert
  • diese NGO betreibt auch eine Galerie im Zentrum der Hauptstadt mit Flüchtenden und entwickelt gerade ein Kunsttherapiekonzept, auch dafür stellen wir eine Anfangsfinanzierung bereit.

Alles NGO´s sind auf Lesbos seit Jahren gut vernetzt, zu allen Projekten werden und wurden auch schon Arbeitsmemoranden und Verträge ausgearbeitet.

Wenn die coronabedingten Einreisemodalitäten und die Bewegungseinschränkungen aufgehoben bleiben, werde ich mich persönlich vor Ort über die Fortschritte informieren, einen längeren Aufenthalt plane ich wieder im Winter, da ich leider überzeugt bin, daß sich die Wohnsituation für die Menschen in den Lagern nicht wesentlich verbessern wird.

Ich möchte Euch von Herzen danken, ohne Helga und Euer Engagement wäre dies alles nicht möglich. Und auch wenn wir gleichzeitig unermüdlich daran arbeiten, daß Lager wie diese, besonders auf „EU Boden“ aufgelöst werden, 

ist diese Hilfe vor Ort unabdingbar. 

Lesbos